In seinem Epos aus dem frühen 14. Jahrhundert, das zentrale Gedanken des Christentums mit Glaubensvorstellungen aus der Antike verbindet, setzt sich Dante mit theologischen, philosophischen und moralischen Fragen auseinander, die bis heute von gesellschaftlicher und politischer Brisanz sind. Im Museum für Moderne Kunst Frankfurt ließen sich afrikanische Gegenwartskünstler von Dantes Werk inspirieren mit dem Fokus auf „Himmel, Hölle, Fegefeuer“. Dabei entwerfen sie die Jenseitsreiche mal als gottlose Orte, die durch die bloße Vorstellungskraft zum Leben erweckt werden. Andere Arbeiten visualisieren Göttlichkeit, Hoffnung oder Verlust. Die preisgekrönte Fotografin Aïda Muluneh aus Äthiopien erläutert ihre Motive so: „Wenn ich an Himmel und Hölle denke, sind das nicht Orte, die in einer anderen Welt existieren, sondern eher allgegenwärtig in dieser Welt; wir müssen nicht sterben, um sie zu finden… Das Inferno besteht aus Geschichte, nicht nur der eines Landes, sondern des Selbst, des Exils, des Blutvergießens, des Verlusts, der Trauer, der Bitterkeit, der gebrochenen Herzen und gebrochenen Flügel“. Das Titelbild dieser CU(L)T-Ausgabe stammt auch von ihr. Es zeigt eine Äthiopierin mit weißer „Haut“ als Symbol für den sozialen Aufstiegskampf und Händen rot wie die dazugehörige Schuld…
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Avantgardistin der Erotik
Seit den 1960er Jahren gilt Dorothy Iannone als Pionierin im Kampf gegen Zensur, für freie Liebe und weibliche Sexualität. Die US-amerikanische Künstlerin nimmt in der Kunst des 20. Jahrhunderts eine ungewöhnliche Stellung ein. Ihr großes Thema ist die ekstatische Liebe. Die Berlinische Galerie zeigt in der Ausstellung „The Sweetness Outside of Time“ mit 150 Werken nicht nur Gemälde und Objekte, sondern auch ihre autobiografischen Bücher und Filme aus den Jahren 1959 bis 2014. Künstlerisch und konzeptionell geht sie bis heute kompromisslos ihren eigenen Weg, obwohl ihre Arbeiten immer wieder wegen angeblich pornografischer Inhalte zensiert wurden. Ein Auslöser für die erotische Explosion in ihrem Werk ist die Begegnung mit dem Fluxus-Künstler Dieter Roth, ihrer großen Liebe. Zusammen mit ihrem Mann und Fluxus-Künstler Emmett Williams reist sie auf einem Frachter nach Reykjavik, um dessen Freund Roth zu besuchen. Der steht, einen frischen Fisch in Zeitungspapier gewickelt, am Pier. Für die Künstlerin eine Offenbarung, ihr Leben zu verändern, ihren Mann zu verlassen und mit dem neuen Partner auf Island, in Basel, London und Düsseldorf zu leben. Nach dieser Begegnung hat Iannone den Mut, verdrängte Erotik freizulegen und ihre eigenen sexuellen Freuden, die Amour fou, zum Gegenstand ihrer Kunst zu machen. Wenn sie die Schönheit des männlichen wie weiblichen Körpers, selbstbewusste weibliche Sexualität und die vielen Spielarten der Lust in Bild und Text preist, tut sie es explizit aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen…
Dokumentarfilm „Watermark“
Kein Element ist so lebensnotwendig, scheint gleichzeitig unerschöpflich und wird doch langsam, aber sicher knapp. Der Umgang des Menschen mit dem kostbaren Element verändert und prägt das Gesicht unserer Erde. Der kanadische Dokumentarfilm „Watermark“ der mehrfach ausgezeichneten Regisseurin Jennifer Baichwal und dem international bekannten Fotografen Edward Burtynsky erzählt in faszinierenden Bildern vom wichtigen Energieerzeuger und Sehnsuchtsort vieler Menschen. Gigantische Wassermassen schießen mit enormer Wucht aus einem Staudamm hervor, schlagen mit tosendem Dröhnen an die Kaimauer. Plötzlich Stille: Zu sehen ist ein ausgetrocknetes Bett des einst mächtigen Colorado River, in dessen Boden sich Furchen wie Verästelungen eines gekrümmten Riesenbaumes gegraben haben: eine malerische Luftaufnahme nahe San Felipe in Baja California, Mexiko von 2011. Mit diesem spektakulären Kontrast beginnt ein beeindruckender Film, der in zwanzig Geschichten aus zehn Ländern rund um den Globus die Lebensnotwendigkeit und Schönheit des Elements Wasser aufzeigt (Filmstart in deutschen Kinos am 15. Mai)…
Singuläre chinesische Lyrik
Im Gegensatz zu seinen dark blue poems, wie er sie selber nennt, in deren Zentrum der frühe Tod seiner Mutter steht, strahlt der Dichter Lian Yang einen fröhlichen Optimismus aus. Mit Verve, ausdrucksstarker Leidenschaft und ausladender Gestik liest er im Münchner Lyrik Kabinett aus seinem neuen Gedichtband „Die Konzentrischen Kreise“. Das Podium ist nicht voll besetzt, zumal nur wenige der Anwesenden des Chinesischen mächtig sind. Diese Verständigungslücke füllt dafür Yang Lians langjähriger Übersetzer Wolfgang Kubin, der außerdem nötige Erklärungen beisteuert. Trotz seines Fluges am nächsten Morgen zur Lesung in Rom hat Yang noch Zeit für ein ausführliches Interview… (im aktuellen Heft auf den Seiten 46 bis 48).
Textile Kunst
Sie wurde lange Zeit als „Frauenkram“ und weibliche Hausarbeit abgetan, bis Rosemarie Trockel Anfang der 1980er Jahre ihre ersten Strickbilder schuf und das Klischee des Textilen als geschlechtsspezifische Ausdruckform umwertete. Im Kunstmuseum Wolfsburg ist das Kapitel „Spiderwoman“ wichtigen Protagonistinnen der feministischen Kunst gewidmet, neben Trockel auch Louise Bourgeois, Mona Hatoum und Ghada Amer. Seither haben Künstler/innen das Bedeutungsspektrum des Textilen enorm erweitert. Heute ist das aktuelle Kunstschaffen geradezu durchsetzt von Arbeiten aus Fäden und Stoffen, genähten Strukturen und gehäkelten Installationen. „Menschsein heißt Leben mit Stoff“, so die Textilforscherin Beverly Gordon….
Leben auf dem Vulkan
Am 24. August des Jahres 79 v.Chr. scheint die Sonne. Gegen 10 Uhr wird Pompeji von Erdstößen erschüttert, Dächer stürzen ein. Plötzlich explodiert mit einem dramatischen Knall der Gipfel des Vesuvs, und eine riesige schwarze Wolke schießt aus seinem Trichter. „Man hörte Weiber heulen, Kinder jammern , Männer schreien“, so schildert der große Geschichtsschreiber Plinius d.J. die tödliche Katastrophe, als der Vesuv in einer gewaltigen Eruption Pompeji, Herculaneum und benachbarte Städte unter sich begräbt und alles Leben auslöscht… Die Campania am Golf von Neapel, eine der blühendsten Landschaften Europas, versinkt für Jahrhunderte unter einer bis zu 20 Meter hohen Ascheschicht… Bei allem Leid, das der Vesuv über die Bewohner Kampaniens gebracht hat – für die Archäologie stellen seine Ausbrüche und die zerstörerischen Naturkatastrophen einen wahren Glücksfall dar, da sie das Leben der Menschen, ihr Wirken und ihre Werke, gleichsam die Jahrtausende alte Siedlungsgeschichte in Momentaufnahmen für die Ewigkeit konservierten. Rund 260 Exponate in der Münchner Hypo-Kunsthalle geben faszinierende Einblicke in das Leben an den Hängen des Vesuvs….
Powerwalk im Wind
Zwei Männer mit Windrädern auf ihren Rucksäcken in eisiger Ödlandschaft – ein Unternehmen aus Absurdistan zweier Verrückter oder etwa gar das Bild einer Fata Morgana wie in der Wüste? Keineswegs! Es handelt sich um das Projekt „Powerwalk“ der Münchner Extremkünstler und Bergsteiger Thomas Huber und Wolfgang Aichner. Sie wollen Europas größten Gletscher, den isländischen Vatnajökull erklimmen. Jeder der beiden hat an die 30 Kilo auf dem Buckel zu verkraften. Im Herbst letzten Jahres startet das Künstlerduo GÆG mit seinen selbstgebastelten, mobilen Windrädern die kräftezehrende Tour von über 60 km Aufstieg. Bewältigen wollen sie eine Strecke vom Basislager bis zur Schutzhütte der isländischen Eisforscher auf 2000 m am Kraterrand des subglazialen Zentralvulkans Grimsvötn…. Was treibt die beiden an? Sie begreifen ihr Projekt als eine Art Selbstversuch, ob sich Windenergie quasi dezentral über menschliche Energiestationen gewinnen ließe. Diese politisch-ironische Aktion soll zum Nachdenken animieren über die Energie-Versorgung als zentraler gesellschaftlicher Herausforderung unserer Zeit….
Chasing Ice
Ein Film, der die Welt aufrütteln sollte: Die spektakuläre preisgekrönte Dokumentation „Chasing Ice“, eine Langzeitaktion in der Arktis, zeigt, dass sich der Klimawandel nicht mehr schönreden lässt. Im Frühjahr 2005 begab sich National Geographic-Fotograf James Balog für ein heikles Projekt in die Arktis: Er wollte den drastisch voranschreitenden Klimawandel mit der Kamera festhalten. Früher hat der Amerikaner, der selbst Geomorphologie studierte, die globale Erwärmung und die warnenden Prognosen der Klimaforscher noch allzu schwarz-malerisch gesehen. Als begeisterter Bergsteiger fing er irgendwann an, neben seiner „environmental photography“ auch Gletscher zu fotografieren. Was er da erblickte, änderte seine Ansicht zum Klimawandel und animierte ihn 2007 dazu, sein ehrgeizigstes Projekt ins Leben zu rufen: EIS, Extreme Ice Survey – Eis unter extremer Beobachtung. Damit wollte er die weltweit dramatische Gletscherschmelze den Menschen visuell bewusst machen – nicht als Schrecknisse, sondern wie ein Porträtfotograf in Bildern, deren Schönheit etwa Richard Avedon in einem vom Leben gezeichneten Antlitz fand…. Im Film „Chasing Ice“ hat Balog dokumentiert, wie Gletscher, die seit Tausenden Jahren existierten, mit rasender Geschwindigkeit verschwinden. Am spektakulärsten sind atemberaubende Szenen mit der Videokamera, die man vorher so noch nie gesehen hat: Mit ohrenbetäubenden Getöse stürzen riesenhafte Eismassen etwa von der Größe Manhattans zusammen, schieben sich ächzend aus dem Inneren nach, als würde die Erde erbrechen….
Globaler Aktivismus
Durch Aktionen von Kleingruppen wie Pussy Riot oder Massenbewegungen wie Occupy und vielen anderen sind in letzter Zeit wiederholt spektakuläre Protestbewegungen in den Fokus einer weltweiten Öffentlichkeit gerückt. Auf völlig verschiedenen Ebenen zeigen sie, was im weitesten Sinn bürgerschaftliches Engagement bewirken kann. Einerseits wird von einer Krise der Demokratie, sogar von einer Postdemokratie, gesprochen. Andererseits beteiligen sich immer mehr Menschen weltweit an vielfältigen bürgerlichen Aktionen, die im öffentlichen Raum auf Missstände aufmerksam machen und zur Veränderung bestehender Verhältnisse auffordern. … Kunst und Handlung gingen seit der Expansion der Künste eine neue Fusion ein, die sich immer mehr aus der rein künstlerischen Intermedialität löst und sich zunehmend auf soziale und humane Situationen konzentriert. So ändern sich auch die Arbeiten der Künstler: Statt Ölgemälden entstehen Flugblätter, Plakate, Graffitis bzw. Street Art. Anstelle von Holzskulpturen entstehen Onlineportale, Transparente, Medienauftritte. Aus Kunstfilmen werden Youtube-Videos….
Haut als Leinwand
Ab und an räkelt sich der Mensch auf dem Sockel, dann bewegt sich auch das Bild auf seinem Rücken. Sein Träger hingegen dürfte sich inzwischen daran gewöhnt haben. Zur Eröffnung der Winterthurer Ausstellung „Tattoo“ war er als lebendes Kunstwerk zugegen. Seine Haut verkaufen tun viele, das weiß auch Tim Steiner, der Mann, der die Redensart wörtlich genommen hat: „Viele Menschen stellen einen Teil von sich jemandem gegen Entgelt zur Verfügung. Solange das ihre Kopfarbeit oder ihr handwerkliches Können ist, stößt sich niemand daran. Ich habe meinen Rücken verkauft, ich stehe dazu und verstoße damit bewusst gegen gesellschaftliche Regeln.“ Das Bild stammt vom belgischen Künstler Wim Delvoye und zeigt eine Madonna, auf der ein Totenkopf nach Art mexikanischer Todesrituale thront, umschwärmt von Fledermäusen und Schwalben, eingebettet in rote und blaue Rosen. Seit 2008 gehört das Werk einem Hamburger Kunstsammler für den Preis von 240.000 Franken, davon ging ein Drittel an den Träger. Nach dessen Tod darf das Bild chirurgisch entfernt und konserviert werden. Ein makabrer Deal?….