Sigmar Polkes Alibis

Gleich drei große deutsche Künstler sind in der britischen Hauptstadt derzeit mit Einzelausstellungen vertreten: Gerhard Richter, Anselm Kiefer in der Royal Academy of Arts sowie Sigmar Polke in der Tate Modern mit rund 300 Werken – eine Schau der Superlative. Sie wird vom 14. März bis 5. Juli auch im Kölner Museum Ludwig Station machen.  Sigmar Polke (1941-2010), der am teuersten gehandelte deutsche Künstler nach Gerhard Richter, zählt  – neben diesem und Blinky Palermo –  zu den experimentierfreudigsten Künstlern hierzulande. Einen Eindruck davon vermittelt die mediale Vielfalt seiner Exponate (siehe oben das Titelbild von Heft 1/2015) die scheinbar alles hinterfragen und reflektieren, um gängige Sichtweisen zu durchkreuzen: nicht nur in seinen Gemälden, die ihn international berühmt gemacht haben, sondern auch  mit den Filmen, Skulpturen, Installationen, Grafiken, Fotografien und Editionen aus den Jahren 1963 bis zu seinem Tod. Inspiriert wird  Polke Mitte der sechziger Jahre von der amerikanischen Pop-Art und den oft kleinbürgerlichen Gewohnheiten der Nachkriegsgesellschaft. So karikiert er das damals gängige Wohnzimmer-Accessoire der Deutschen, den beliebten Gummibaum, mit seiner Skulptur aus einem Zollstock, der sog. „Zollstockpalme“….

Kitsch oder Kult?

Am US-Künstler Jeff Koons scheiden sich immer noch die Geister. Seit 35 Jahren lotet der poppigste Künstler der Gegenwart die Grenzen zwischen Elite- und Massenkultur spielerisch aus, verwandelt banale Alltagsgegenstände wie Aufblastiere oder Staubsauger in Kunstgegenstände. In den 1980er Jahren kreiert er die realen Dinge noch wie Readymakes à la Marcel Duchamp, später lässt er Skulpturen nach der Vorlage von Nippesfiguren und Kinderspielzeug aus Holz, Porzellan oder verchromtem Stahl aufwendig und in vergrößertem Maßstab anfertigen…  Ein überlebensgroßes Denkmal aus vergoldetem Porzellan hat Koons dem Superstar Michael  Jackson und seinem Haus-Schimpansen Bubbles gewidmet. Der Künstler bewunderte den Sänger, der „absolut alles unternahm, um sein Publikum zu erreichen“. Da dieser die weiße Mittelklasseschicht erobern wollte, hält Koons auch dessen plastische Gesichtsoperation und Maßnahmen der Hautaufhellung für legitim: „Diese Radikalität, diese Abstraktion!“…

The Image as Burden

So lautet der Titel  einer Londoner Ausstellung, der zugleich ein Schlüsselwerk der Südafrikanerin Marlene Dumas ist.  Geboren 1953 in Kapstadt wächst sie als weißes Kind zu Zeiten der Apartheid auf. Das Thema der weißen Schuld als Folge der Kolonialgeschichte steht im Zentrum ihres Lebens und der Kunst. Über die Zeit ihres Studiums der Malerei an der Universität Kapstadt sagt sie: Es war klar, dass wir uns als Weiße an einer Kunstschule In einer extrem privilegierten Situation befanden. Politisches Bewusstsein und kritische Selbstreflexion waren Pflicht. Doch es engte mich auch ein… Die politische Gewalt des Apartheid-Regimes und die von Rassismus bestimmte Umwelt traumatisierten die Künstlerin. In ihrer schrecklich-schönen Kunst scheint sie das Trauma zu begleiten und der Versuch, es zu verarbeiten…  Dumas‘ Kunst geht unter die Haut. Die Künstlerin lässt Farbe häufig mit sehr viel Wasser zerlaufen, um sie dann mit dem Pinsel zu bearbeiten, bis sich die Formen konkretisieren: Augen, Gesicht und Körper malt sie rasch mit expressivem Gestus, der ihre Arbeiten so wild und ausdrucksstark macht…

Visionen einer neuen Welt

Fast 40 Jahre nach der letzten Retrospektive  feiert die Kunstwelt jetzt ein furioses Comeback. Neben 270 Gemälden, Aquarellen, Zeichnungen, Skulpturen, Fotografien, Grafiken und Originalkostümen des „Triadischen Balletts“ vermitteln auch bislang unveröffentlichte Dokumente die künstlerische Vision eines Jahrhundertkünstlers. Wegen eines jahrelangen Erbschaftsstreits hatte die Öffentlichkeit die Arbeiten von Oskar Schlemmer (1988-1943) bis dato  –  außer seinen Texten über Kunst –  beinahe aus den Augen verloren. Nach dem Chaos des Ersten Weltkriegs stehen Schlemmers humanistische Visionen für die Sehnsucht nach Harmonie, Frieden und Gemeinschaft. Damit war er damals und besonders im Umfeld des Bauhauses nicht allein. Seine Vorstellung jedoch von einer Kunst, die Abstraktion und Figuration, rationale Konstruktion und Intuition, moderne Maschinenwelt und Zeitlosigkeit zu „Visionen einer neuen Welt“ verbindet, ist bis heute singulär geblieben….

Heilung einer Chronophobie

Kurz vor Erreichen der Mitte seines Lebens (das laut Statistischem Bundesamt nach 76,5 Jahren zu Ende gehen wird) und gleichzeitig am Beginn einer neuen Lebensphase (nach Abschluss seines Filmstudiums an der Hamburger Kunsthochschule) spürte Philipp Hartmann, * 1972, eine lähmende Machtlosigkeit gegenüber der eigenen Vergänglichkeit. Zur Heilung seiner sog. Chronophobie, die man auch als Midlife-Crisis oder Burn-Out-Syndrom bezeichnen könnte oder einfach nur die Sorge um den Sinn unseres Lebens, musste eine Weg gefunden werden, das Vergehen der Zeit zu bremsen. Sein Film  Die Zeit vergeht wie ein brüllender Löwe  ist ein Kaleidoskop an nachdenklichen, humorvollen Aspekten zu einem Thema, das uns alle beschäftigt.  Die Zeit zu verstehen ist eigentlich ein auswegloses Unterfangen. So rätselhaft, so unfassbar, so widersprüchlich ist sie: Mal rast sie, mal dehnt sie sich, sie hinterlässt Spuren oder verbirgt sie; sie scheint gleichmäßig an einem Strang entlang abzulaufen und macht doch plötzlich Sprünge, dreht sich im Kreis, wiederholt sich oder weist über sich hinaus. Sie versetzt uns in die Zukunft oder in die Vergangenheit (selten in die Gegenwart). Und jeder nimmt sie anders wahr. Ein filmischer Versuch über die Zeit war für Philipp Hartmann deshalb ebenso vielschichtig, ambivalent und offen wie die Zeit selbst. Im Interview erzählt er, wie sich in seinem Film Dokumentarisches mit persönlichen Gedanken und fiktionalen Geschichten zu einem roten Faden verbinden….

Festival der Dichterinnen

Über 50 Lyrikerinnen aus 13 Ländern folgten der Einladung zum zweiten Schamrock-Festival der Münchner Künstlerinnen und Autorinnen Augusta Laar und Sara Ines Struck nach München sowie nach Wien. Den beiden Veranstalterinnen gelang eine Biennale der Superlative, die vier Tage lang den weiblichen Blick auf den aktuellen poetischen Kosmos in allen Facetten beleuchtete, mit Lesungen und Performances, Ausstellung und Diskussionen. Und viele kamen zum Lyrik-Festival in die Pasinger Fabrik. Einem Lyrik-Marathon, der die Konzentrationen des nicht nur weiblichen Publikums forderte: wenn  Künstlerinnen aus Deutschland, Finnland, Galizien, Irland, Italien, Japan, Mexiko, Österreich und der Schweiz, Slowenien, der Türkei, der südsibirischen Republik Tuwa und den USA ihre „kreative Wut“ herausschleudern…  Ein Auszug der Darbietung mit zehn internationalen Dichterinnen ist im aktuellen Heft veröffentlicht und nachlesbar…