Im Zirkus macht das Leben normalerweise fantastische Sprünge. Davon bleiben im Kunsthaus Zürich nur Requisiten, Kostüme und Accessoires. Das Spektakel ist der Leere gewichen. Über allem hängt die rot-gelbe Hülle eines Zeltes mit seinen bunten Wimpeln von der Decke herab und scheint sich am Boden auszubreiten. In der Ausstellung geht es der französisch-marokkanischen Künstlerin Latifa Echakhch um das Ende dieses „Hier und jetzt“. Sie beklagt damit die innere Leere unserer Event-Gesellschaft und die Tatsache, dass heute alles so schnell geht, dass es daher eigentlich immer schon vergangen ist. Die Vorstellung von etwas, das nur in seiner Abwesenheit vorhanden ist, beschäftigt die 38jährige seit längerem. Sie reflektiert auch den oftmals voreingenommenen Blick auf nationale und religiöse Identitäten in poetischen und zugleich konzeptionellen Arbeiten. So 2008 in der Ausstellung „Shifting Identities“ mit schwarz bemalten, leeren Fahnenstangen, die sich im Raum überkreuzten. Oft verrät der Titel erst die Thematik – wie auch bei der Installation „Stoning“ von 2010. Harmlos am Boden liegende Steine rufen plötzlich Bilder von brutalen Steinigungen hervor. Inzwischen hat die Künstlerin an der Biennale Venedig 2011 und an der Sydney Biennale 2012 teilgenommen.
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Mein Körper und ich
Körpergefühle sind optisch schwer zu definieren. Die österreichische Künstlerin Maria Lassnig versucht sich darin schon seit über sechs Jahrzehnten. Das tut sie nicht narzisstisch, sondern in einer zu Bildern geronnenen Gefühlssprache, die das Bewusstsein mit kritischer Distanz erkundet. In den oft verblüffend einfachen Zeichnungen verschmelzen subjektive Körperlichkeit mit objektiver Dinglichkeit. Gliedmaßen verwandeln sich in Gegenstände mit Witz und Selbstironie. Die anatomische Grenze scheint aufgehoben, Identität fraglich geworden. Stattdessen nehmen die intimsten Ängste, Wünsche, Zwänge und Fantasien Gestalt an. Aus einer physischen Dynamik heraus malt die Künstlerin großformatige innere Visionen ihrer Selbst durch unmittelbar körperliche auf das Bild übertragene Meditation. So erarbeitet sie sich ihre Gemälde nicht nur vor der Leinwand stehend, sondern auch im Liegen, Sitzen oder sich auf sie stützend. Oft schließt sie beim Malen die Augen, um ihre Empfindungen wie Trauer, Freude oder Glück oder auch Druck- Spannungs- und Ausdehnungsgefühle besser zu spüren und zu visualisieren. Nach außen gestülptes Innenleben beherrscht auch die Aquarelle, deren Farben Maria Lassnig so definiert: „Die Stirne bekommt eine Gedankenfarbe, die Nase eine Geruchsfarbe… es gibt Quetsch- und Brandfarben, Todes- und Verwesungsfarben, Krebsangstfarben – das sind Wirklichkeitsfarben.“
Eine fotografische Legende
Wo liegen die Grenzen von Kunst und Pornographie? Das Œuvre von Robert Mapplethorpe ist mit den Begriffen Sex und Exzess, Begierde und Dominanz untrennbar verbunden. Diese Allianz macht ihn auch heute noch, 25 Jahre nach seinem Tod, zum umstrittenen, aber dennoch zu einem der großen Fotografen unserer Zeit… Seine Fotos männlicher Akte irritieren mit ihrem Mix aus Schock und Schöpfung. Berühmtheit erlangt er zunächst mit klassischen Kompositionen von Stillleben und Blumen, den „New York Flowers“. Als fotografischer Autodidakt hat er lange mit diesen Sujets experimentiert und diese später zusammen mit Phalli präsentiert: „I look für the perfection of form. I do this in portraits, in photography of penises, in portraits of flowers. I’ve tried to juxtapose a flower, then a picture of a cock, then a portrait, so that you could see they were the same“. Die Aufregung im sogenannten amerikanischen Kulturkrieg der 1980er Jahre war groß, als Mapplethorpe seine Fotos auf den Markt bringt. Homoerotische Praktiken und immer wieder entblößte Männerkörper, in schlichtem Schwarz-Weiß inszeniert, sorgen in seiner Heimat für Empörung. Doch die Avantgarde feiert inzwischen die Werke des Katholiken als große Kunst. Mapplethorpe war nicht nur kühler Porträtist einer New Yorker Gesellschaft, der formversessene Beobachter der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts. In seinen Bildern konfrontiert er die Menschen mit ihren Vorurteilen, ihrem Verhältnis zur schwarzen Minderheit, ihrer Haltung zum Feminismus und zu sexuellen Minoritäten. Exhibitionistisch und intim, romantisch und brutal zwingt seine Bildsprache dazu, die Welt auf neue Art zu sehen.
Coming-out des nackten Mannes
Über nackte Haut regt sich heute keiner mehr auf, könnte man meinen. Auch nicht im Museum, wo die gezeigten Nackten meist Frauen sind. Doch wenn Männer alle Hüllen fallen lassen? Anders als die überlebensgroße, begehbare Skulptur „Mr. Big“ vor den Toren des Wiener Leopold Museums, das vom Publikum vielfach in Besitz genommen wurde, verursachte das Plakat zur Ausstellung „Nackte Männer“ gewaltigen Aufruhr. Die explizite Darstellung von drei nackten Fußballern aus der subversiven Kitschfabrik von Pierre & Gilles mussten die Macher deshalb überkleben. Eine Publicity-trächtige Aktion mit der Botschaft: Wer „alles“ sehen will, muss ins Museum. So eine Schau nackter Männer hat es bisher noch nicht gegeben. Gleich zwei österreichische Museen holten die „Nackerten“ aus ihren Depots und aus privaten Sammlungen. Erst seit mehr als 100 Jahren gibt es in der Bildenden Kunst Werke, worauf sich die Herren in voller Pracht präsentieren. In einem groß angelegten Bogen über zwei Jahrhunderte thematisiert die Wiener Ausstellung unterschiedliche künstlerische Zugänge, konkurrierende Männlichkeitsmodelle und den Wandel von Körper-, Schönheits- und Wertvorstellungen. Was passierte jedoch, als der Blick des Malers vom nackten Vis-à-Vis zum entblößten Ich weiterwanderte und im Künstlerselbstakt ein Fanal der Moderne entstand? In Wien geben Egon Schieles tabulose Selbstbespiegelungen eine Antwort darauf. – Die Ausstellung in Linz beleuchtet dagegen mit ihrer Retrospektive des nackten Mannes im 20. und 21. Jahrhundert dessen Krisen der Identität und Phasen der Souveränität. Sie spürt Versuche der Dekonstruktion von traditionellen Männlichkeitsbildern und die Suche nach Alternativen auf. Sie zeigt die Auseinandersetzung mit Schwäche und Verletzlichkeit, schildert den Blick des Begehrens und die erotische Pose.
Gnadenlos komisch
Witz, Ironie, Satire oder auch Sarkasmus in der Kunst erscheinen landläufig eher als männlich geprägte Eigenschaften. In einem Streifzug von der Jahrhundertwende bis in die Gegenwart zeigt die Kunsthalle Vogelmann in Heilbronn, dass auch Künstlerinnen spezifische Formen des Komischen als Strategie und Methode in ihren Werken zu nutzen wussten und damit auf Gesellschaft, Politik und Kunst reagierten. Ausgehend von frühen Slapstick-Filmen um 1900 spannt sich der Bogen bis in die jüngste Gegenwart. Von Beginn an setzten Künstlerinnen das Komische in ihren Arbeiten ein, was in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ausgewählte Zeichnungen, Collagen, Aquarelle und Objekte von Marianne Werefkin, Hannah Höch, Jeanne Manmen, Hanna Nagel und Meret Oppenheim reflektieren. In den politischen 1960er Jahren findet sich das Komische mit Nachdruck in Pop-Art und Fluxus, und die Forderungen der Frauenbewegung geraten in das Blickfeld der Kunst. Selbstironisch und mit bissigem Sarkasmus kritisierten und prangerten bekennende Feministinnen wie Valie Export, Eleanor Antin, Martha Rosler oder Birgit Jürgensen tradierte Verhältnisse an. Legendär ist die gemeinsam mit dem Künstler Peter Weibel 1968 veranstaltete Performance von Valie Export „Aus der Mappe der Hündigkeit“. Das Museum für moderne Kunst Stiftung Ludwig berichtete damals: „Es kam zu einigen Zwischenfällen, wobei die sexuelle Dimension der Aktion – Mann als Hund am Gängelband der Frau, Sadismus/Masochismus/ Matriarchat – am meisten Beklemmung hervorrief“. Weniger beklemmend als vielmehr befremdlich wirken da die Alltagsgegenstände der palästinensischen Künstlerin Mona Hatoum mit einem überdimensionalen Gurkenhobel „Paravent“ von 2008 sowie Rosemarie Trockels seltsamer Herd „Ohne Titel“ von 1991, auf dem frau garantiert nicht kochen kann.
Versuch anzukommen
Als der Tag wiederkam
Blieb ich meiner Schwäche treu
Meine Illusion, sie war zerschlissen wie ein Seil
Und mein Kleid war geflickt
Allmählich entstand eine Fata Morgana
Auf den Hügeln irrten Lichter umher.
Ich suchte Hilfe in der Gegenwart
Im Läuten, in einer vom Tag verlassenen Stunde
Ich wandte mich ans Vergessen
An eine Mauer und einen toten Skorpion.
Ich wartete
Auf etwas, das mich antreiben würde
Auf eine Blume, um meinen Einfall zu bündeln
Um heimlich zu schmelzen
Und zu verschwinden.
Aufbrechen wollt‘ ich
Noch weiter fortgehen
Ich wollte entschwinden
Und als die Tage sich häuften
Und die Erinnerungen sich entfernten
Glitzerten dort die Sterne
Und ich erhielt eine streunende Seele zurück
Eine Nacht, die Tränen blutete
Und hielt den Faden
und zog daran, um anzukommen.
Aliens von Arne Quinze
Auf dem Deich von Ostende stehen seit diesen Sommer ungewöhnlich fremdartige Objekte, die an ramponierte, vom tosenden Meer angespülte Container erinnern. Ihre weithin leuchtende Farbe markiert die flämische Küste als Hot Spot von Beaufort, der Triennale für Gegenwartskunst am Meer. Der Skulpturenpark , gestaltet von inzwischen 20 europäischen Künstlern, lockt zum vierten Mal internationale Besucher an Belgiens Nordseeküste. Der bekannte flämische Künstler Arne Quinze schuf sogenannte „Rock Strangers“ als bleibendes Monument. Wir sprachen mit ihm über seine Ideen und deren Modelle, die in den Venezianischen Galerien von Ostende zu sehen sind: ? Was beabsichtigen Sie mit Ihrem neuesten Kunstwerk? – ! Quinze: Wir leben in einer scheinbar sicheren Welt. Menschen neigen dazu, sich vor fremden Einflüssen und Elementen zu schützen und umgeben deshalb ihre Häuser mit Zäunen und Mauern. Ich war neugierig, wie Menschen auf ihnen fremde Dinge wie z.B. die „Rock Strangers“ reagieren – vielleicht ähnlich dem Augenblick, wenn sie morgens aufwachen und in ihrem sicheren Garten ein fremdes Objekt vorfinden. Wie nähern wir uns diesen felsigen Fremden? Es geht mir hier nicht nur um den künstlerischen Anspruch, sondern auch um Provokation von Kommunikation und sozialer Interaktion….
Elliott Erwitts humorvoller Blick
Mein Leben ist schon kompliziert genug, deswegen konzentriere ich mich bei meinen Bildern lieber auf Schwarz-Weiß, erklärt der 1928 als Sohn russischer Einwanderer in Paris geborene Elliott Erwitt. Er ist in Italien und den USA aufgewachsen, hat als junger Mann in Deutschland und Frankreich gelebt und ist für Aufträge in die ganze Welt gereist. Aber er fotografierte auch immer für sich selbst: Straßenszenen, bekleidete oder nackte Menschen – und Hunde. Erwitt hat ein besonderes Verhältnis zu Hunden. Er bellt sie an und fotografiert sie gerne in Situationen, die das „Menschliche“ des liebsten Begleiters des Menschen deutlich und zugleich den „Hund im Menschen“ sichtbar machen…
Sprühende StreetArt
In New York der 1970er Jahre beginnt der Siegeszug der Graffiti-Kunst. Ein griechischer Kurier hinterlässt auf seinen Botengängen das Pseudonym „Taki 183“ auf den Wänden der ganzen Stadt – er gilt als Urvater der modernen Wandmalerei. In Deutschland schlägt die Stunde der Graffiti-Kunst 1983. In München formiert sich in jenem Jahr die erste deutsche Szene, die Mathias Köhler alias Loomit maßgeblich mitgestaltet hat. Mit dem Projekt „Isart“ ermöglicht München den Fassadenkünstlern seit einigen Jahren eine Plattform unter der Brudermühl-Brücke. Einmal jährlich wird dem Unterbau an der Isar so ein neues Gesicht verliehen. .. Beteiligt waren diesmal 20 Künstler mit dem Focus auf die Münchner Szene. Joerg und Michael von der Künstlergruppe Graphism sowie Solosprayer Kurls haben sich ein ganz besonders Motiv ausgedacht: Das wackelige „Euro-Boot“ mit Angela Merkel am Steuer: „Sie gibt alles, um das Schiff sicher durch die Stürme auf den Märkten zu manövrieren, während die Finanz-Haie drum herum lauern“…
Indianische Moderne
Das Ethnologische Museum in Berlin-Dahlem bietet die seltene Chance, eine umfassende Schau mit Gemälden und Skulpturen indianischer Kunst zu sehen, die sich parallel zur „weißen“ anglo-amerikanischen Kunst entwickelt hat…. Auf sozial-politische Themen wie Umweltzerstörung, Landraub und Prostitution konzentriert sich zum Beispiel Lawrence B. Paul, der zu den bekanntesten Künstlern aus Kanada, B.C., gehört. Sein Pseudonym „Yuxweluptun“ in Salish bedeutet „Mann der vielen Masken“. Er ist überzeugt davon, dass die indianische Urbevölkerung noch immer Anspruch auf ihr Land hat, und er macht den amerikanisch-kanadischen Kolonialismus direkt verantwortlich für das Töten von Wölfen, Büffeln, Grislybären und Zugvögeln, die zum Teil im Aussterben begriffen sind – wie er auch die Ausbeutung des Fischfangs, den sauren Regen, den Atommüll und nukleare Testprogramme, die Luftverschmutzung, die Emission von Methangas und den Giftmüll aller Art anprangert…