Kunst macht sichtbar

Eine großartige Ausstellung  „Making Visible“ in der Londoner Tate Gallery lässt die fantastische Welt von Paul Klee neu entdecken. Man spürt die Spontaneität des Künstlers, die sich durch sein strenges Kompositonskonzept zwar niemals selbständig macht, sich dafür umso mehr hybridartig des Kubismus, Surrealismus, Symbolismus und Expressionismus bedient.  Der Künstler beginnt jedes Bild mit einem Vier- oder Dreieck, Kreis, Linie oder Punkt, von wo aus er das Motiv bewusst entwickelt oder wachsen lässt, fast wie bei einem lebendigen Organismus…. Der Museumsrundgang in London, beginnend mit den ersten Werken  Paul Klees als Mitglied der „Blauen Reiter“ in München 1913 über die farblichen Einflüsse seiner Tunesien-Reise und die karikaturhaften Werke zum Untergang des Kaiserreichs bis zum Bauhaus und zur Verfolgung in der Nazi-Zeit, endet mit dem Bild „Dämmerblüten“.  Es ist Klees letztes Werk, das er noch auf dem Krankenbett, von schwerer Sklerodermie gezeichnet, Anfang 1940 schuf….

Unruhe im Olymp

Er darf, was noch niemand durfte: Er schreibt Gedichte an die Wände des neuen Grass-Hauses in Lübeck: Mit Wachsmalstiften präsentiert Markus Lüpertz erstmals seine Wortkünste, die mit den anderen Kunstobjekten im Raum korrespondieren. Lyrische Reflexionen über Kunst, Mythos und Künstlertum treten auf diese Weise im Sinne eines innovativen Gesamtkunstwerks zu seinen bildenden und plastischen Arbeiten in Beziehung. Themen der Schau sind Kunst, Liebe, Krieg und Tod. Auch die Persönlichkeit und sein musikalisches Talent werden beleuchtet: Im Lübecker Theater tritt Lüpertz  gemeinsam mit seiner Jazzband auf. Einen Bogen von der Musik zur Literatur schlägt er dabei durch die Rezitation seiner in der breiten Öffentlichkeit nahezu unbekannten Gedichte.  Wegen seines egozentrischen Auftretens und seines extravaganten Lebensstils wird der 72jährige oft als „Malerfürst“ bezeichnet.  In der Kunstszene ist er spätestens seit 1982, als er zur Documenta VII nach Kassel eingeladen wird, auch international eine Größe…

Spurensuche eines Einzelgängers

Ronald B. Kitaj ist eine schillernde Persönlichkeit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sein  vielschichtiges Werk vereint Elemente des Surrealismus mit der Pop Art und steckt voller Verweise auf Vorbilder aus Kunst und Literatur. So finden sich beim ihm Zitate aus der Kunstgeschichte, von Renaissance-Malern wie Giotto und Fra Angelico bis zu Manet, Cézanne und Matisse. Seine komplexen und mysteriös anmutenden Bilder wirken bisweilen rätselhaft und provokant. Zusammen mit David Hockney, Frank Auerbach und anderen Künstlern gehört R.B. Kitaj zu den zentralen Vertretern der School of London, die in den 1960er Jahren begannen, mit einer farbintensiven, figürlichen Malweise Alternativen zur vorherrschenden abstrakten Stilrichtung zu realisieren. Für Kitaj, der in einer jüdischen Familie zur Welt kam, wurde das Judentum ab den frühen 1970er Jahren zu seinem Lebensthema, nachdem er von Hannah Arendts Bericht über den Eichmann-Prozess erfuhr. Auf der Suche nach der jüdischen Kunst widmete er sich intensiv dem Problem von Identität im Judentum:  „Ganz und gar Amerikaner, im Herzen Jude… verbringe ich meine Jahre weit entfernt von den Ländern, an denen mein Herz hängt… In der Diaspora habe ich erfahren, dass man frei ist, alles zu wagen, an vielen anderen Orten kann man das nicht“  …

Surrealistische Rebellin

Meret Oppenheim zählt zu den bedeutendsten und eigenwilligsten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts. Mit „Frühstück im Pelz“, ihrer berühmten Pelztasse, wird die skandalumwitterte Muse bereits in jungen Jahren zur Legende und wichtigsten Vertreterin des französischen Surrealismus. Ihr spielerisch-humorvoller Umgang mit Alltagsmaterialien, die sie in immer neue, ungewöhnliche Sinnzusammenhänge transferiert, geriert zu ihrem Markenzeichen. Dabei schert sie sich nicht um Stil und Form: „ich realisiere Idee, wie sie mir in den Kopf kommen“. Auch ihr bedeutendstes Werk verdankt sie einer beiläufigen Idee. Sie verdient sich in Paris ihr Geld mit Pelz überzogenen Armbändern. Man könne alles mit Pelz überziehen, scherzt Picasso. So überzieht sie Tasse, Unterteller und Löffel – und schafft eine Ikone des Surrealismus.  Mythen , Spiele und Träume dienen Meret Oppenheim als Quellen, ebenso wie literarische Vorlagen:  „Jeder Einfall wird geboren mit seiner Form.  Man weiß nicht, woher die Einfälle einfallen. Sie bringen ihre Form mit sich, so wie Athene behelmt und gepanzert dem Haupt des Zeus entsprungen ist, kommen die Ideen mit ihrem Kleid“ …

Biennale von Venedig

Sie präsentiert sich als ein überwältigendes und überraschendes Labyrinth. Allein Massimiliano Gionis „Palazzo Enciclopedico“ im Arsenale und im Zentralpavillon der Giardini umfasst Werke von 170 Künstlern, dazu kommen Länderpavillons von 88 Nationen, 47 Nebenausstellungen und weitere Stationen der Stadt. Die diesjährige Biennale wirkt wie ein Museum auf Zeit, in dem der Markt keine Rolle spielt und auch Outsiderkunst berücksichtigt wird. Für den 39jährigen Kurator „müssen nicht immer hundert neue Künstler entdeckt werden“. Vielmehr konzentriert er sich lieber auf „Künstler mit kulturell unangepassten Charakter“.  Vom Modell „Enzyklopädischer Palast“ des amerikanischen Hobbyarchitekten Marino Auriti von 1950, das den Parcours im Arsenale anführt, lieh sich Gioni den Titel der Biennale. Die in einer Garage gebastelte, fünf Meter große Skulptur sollte einmal als Wolkenkratzer das gesammelte Weltwissen aufnehmen und in Washington errichtet werden, wozu es freilich nie kam.  387 akribisch gezimmerte Hausmodelle des Beamten Peter Fritz stehen wie selbstverständlich auf einer Stufe mit Cindy Shermans Sammlung ihrer Rollenspiele und Selbstinszenierungen oder Pawel Althamers „Venetians“, die einen ganzen Saal besetzen. Der Künstler hat für seine Installation die Gesichter der „letzten“ echten Bürger Venedigs abgegossen und deren künstliche Gestalten aus grauen Plastiksträngen in friedliche Außerirdische verwandelt…

Agoraphobie als Metapher

In den letzten Jahren hat sich die türkische Kunst- und Kulturszene, besonders in Istanbul, rasant entwickelt: Junge türkische Künstler haben den Bruch mit der traditionellen Kunst ihres Landes vollzogen. Nach Jahren der Isolation meldete sich diese Künstlergeneration ein Jahrzehnt später auch international zu Wort und setzte politisch engagiert, ästhetisch radikal und mit neuen bildnerischen Argumenten maßgebliche Zeichen. Auch die seit 1987 ins Leben gerufene Istanbul Biennale gewann zunehmend an Bedeutung. Sie hat nicht nur in der Türkei einen hohen Stellenwert für die Kunst. Die Initiatoren der Biennale gaben der Berliner Prolog-Ausstellung den Titel „Agoraphobie“, um die Situation des öffentlichen Raums zu symbolisieren.  Sinnbildlich bedeutet Agoraphobie (Angst vor der Menge oder Angst vor offenen Plätzen) hier die Angst vor der freien Meinungsäußerung und vor kollektiven öffentlichen Aktionen. Wie real diese Angst ist, zeigt die Äußerung des türkischen Kulturministers vom letzten Jahr, der die Kunst als „Hinterhof des Terrorismus“ bezeichnete. Publizisten, Journalisten und Künstler sitzen im Gefängnis. Die Ausstellung sowie die Istanbul Biennale analysiert daher die Politik des Raums als „unvermeidlichen Vektor von Freiheit und urbane öffentliche Plätze als räumliche Komponente des demokratischen Systems“…

Genius Leonardo da Vinci

Eine Ausstellung im kunsthaus kaufbeuren präsentiert den unerschöpflichen Forscherdrang eines genialen Erfinders und Wissenschaftlers. Zu sehen sind die mechanischen Wunder Leonardos aus dem Zeitalter der Renaissance und ihrer Bedeutung für unsere heutige Zivilisation. Leonardo da Vinci (1452-1529) experimentierte mit Getrieben, Hydraulik, Flaschenzügen, mit Kurbeln und Zahnrädern. Er bediente sich der Wind- und Muskelkraft, des Federantriebs und des Schwungrades. Er entwirft ein neues Bild der Welt, die er wie eine große Maschinerie sieht. Einer seiner Lehrsätze war, „Maschinen zu bauen, mit denen man ganze Welten bewegen kann“. Leonardo forschte an alltäglichen Gebrauchsgegenständen, wie einen Wegstreckenzähler bis hin zu richtungsweisenden Studien für ein Automobil. Er untersuchte den Wasserverlauf und entwarf Instrumente für die exakte Zeitmessung.  Einen großen Teil seiner  Zeit widmete sich Leonardo dem uralten Traum vom Fliegen. Seine erste Flugmaschine beruhte noch auf der traditionellen Vorstellung des mit Muskelkraft bewegten Ikarus-Fluges.  Als er erkannte, dass der Mensch durch die Muskelkraft seiner Arme nicht wie ein Vogel fliegen kann, versuchte er es mit mechanischen Hilfen: „Wenn der Mensch ein geschlossenes Zelt aus Leintuch hat, das auf jeder Seite zwölf Ellen lang ist und zwölf hoch“, könne er sich aus jeder beliebigen Höhe herabstürzen. Was hätte er wohl in unserer Zeit zum Risiko der sog. Space-Jumper gesagt, die sich mit rasender Geschwindigkeit in ihren Batman-ähnlichen Wingsuits von hohen Bergfelsen in die Tiefe stürzen? …

Tücken der Bananenschale

Slapstick war ursprünglich ein Theaterrequisit, das ein Schlaggeräusch imitierte. Aus dieser Narrenpritsche entwickelte sich die Bezeichnung für ein ganzes Genre. Die Geschichte der Slapstick-Komödie umfasst die Comedia dell‘ arte über das Vaudeville Theater bis hin zu den frühen Slapstick-Filmen des 20. Jahrhunderts. Die Tücken der Bananenschale, Tortenschlachten, Prügeleien und Verfolgungsjagden, aber auch die kleinen Arglisten des Alltags, und der Kampf zwischen Mensch und Maschine gehören zu den berühmten Slapstickeinlagen. Wenn Charlie Chaplin als kleiner Vagabund in seinen weltberühmten großen Schuhen, mit Melone und Stöckchen eine Straße entlang tippelt, dann zaubert er noch heute – hundert Jahre nach seinem ersten Film – ein Lächeln auf die Gesichter aller Generationen. Unvergessen ist auch die stets regungslose Miene Buster Keatons, dem „menschlichen Staubwedel“, oder Harald Lloyd wie er akrobatisch an der Uhr eines Hochhauses hängt und die nicht enden wollenden Querelen zwischen Laurel & Hardy (Dick & Doof). Mit ihrer Kunst des humorvollen Scheiterns haben diese Pioniere der Slapstick-Komödie in der Stummfilmära und der Zeit des frühen Tonfilms eine Form von selbstironischer Komik geschaffen, die bis heute ihre Aktualität nicht eingebüßt hat …

The Art of John Lennon

Berühmt wurde er als Sänger der Beatles. Der geniale Musiker und Rockrebell hat Millionen Menschen mit seinen Songs bewegt und Generationen politisch inspiriert. Mit den Beatles schrieb John Lennon in den 1960er Jahren Musikgeschichte. Auch als Solokünstler blieb sein Erfolg mit Alben wie „Imagine“ ungebrochen. Gleichzeitig forderte er als politischer Aktivist zunehmend die Öffentlichkeit heraus und engagierte sich leidenschaftlich gegen den Krieg.  Sein Leben und Werk pendeln zwischen den Leitmotiven Liebe und Politik, zwischen privater Intimität und öffentlichem Protest. Der 1940 in Liverpool geborene Künstler begann zu zeichnen, lange bevor er zur Gitarre griff. Er schrieb schon als Kind Gedichte und Kurzgeschichten, die er durch selbst gestaltete Illustrationen ergänzte.  Sehr prägend waren seine Studienjahre am College of Art in Liverpool. Dort entstanden bereits zahlreiche Zeichnungen von skurrilen, blitzschnell geschaffenen Karikaturen und farbig gestalteten Comics. Im Alter von 24 Jahren zeigt Lennon sich erstmals von seiner radikal-anarchischen Seite: Zeichnungen und literarische Fundstücke voll Absurditäten, satirisch und sehr britisch. „Nichts davon braucht sinnvoll zu sein, und wenn es Spaß macht, so ist es genug“, meinte Lennon selbst.  An diese Ausflüge in die Literatur knüpft das   Günter-Grass-Haus  in Lübeck mit einer Sonderausstellung an.

Parodie poetischer Maschinen

„Die Absurdität, die verrückte selbstzerstörerische, repetitive, spielerische, sisiphusartige Seite der Maschinen, die eingesperrt sind in ihr Hin und Her: Ich denke, dass ich ziemlich gültig an dieser Gesellschaft teilnehme. Sagen wir: Meine Arbeit gibt dazu einen gepfefferten und satirischen Kommentar ab, in den viel Doppelsinniges, Zweideutiges und Hintergründiges eingeht“ – so interpretierte der Erfinder der kinetischen Kunst, Jean Tinguely (1925-1991), sein Werk einmal selbst. Sein Schaffen ist von zahlreichen einschneidenden Entwicklungen geprägt. Sie zeigen eine Offenheit, mit der er seine Kreativität am Kunstgeschehen auslebte und eigenwillig mitgestaltete. 1960 begann er, Aktionen und Happenings mit einer durch Objets trouvés zu verbinden, um die toten Abfallprodukte der Konsumgesellschaft zu neuem, eigensinnig-absurden , oft nur kurzem Leben zu erwecken.  Das erste sich selbst vernichtende Kunstwerk überhaupt, „Homage to New York“, weist dramatisch und spektakulär auf das Potential der Zerstörung der Welt, die politisch und gesellschaftlich mit dem Kalten Krieg drohte. In einer großen Retrospektive im Museum Tinguely in Basel wird das Œuvre Tinguelys auf einer Fläche von über 3000 Quadratmetern präsentiert.