Erstmals ist das farbgewaltige Werk des Magnum-Fotografen Steve McCurry hierzulande im Museum mit dem Fokus auf Asien zu sehen. Weltweite Berühmtheit erlangte der Amerikaner, als er 1979 zur Zeit der sowjetischen Invasion die Grenze von Pakistan nach Afghanistan, als Mujaheddin-Kämpfer verkleidet, überwand. Nach einigen Wochen hinter der Kamera nähte er die Filmrollen in seine Kleidung ein und schmuggelte sie nach USA zurück. So entstanden die ersten Aufnahmen aus dieser Konfliktregion, die international veröffentlicht wurden. McCurrys Bilder wirken auf den ersten Blick arrangiert. Doch er greift nicht ein „in den Fluss der Zeit“. Er hält lediglich fest, was der Moment ihm bietet. Wie grausam-schön die Inszenierungen der Realität sein können, die er vorfindet, wird vor allem in seinen Kriegsbildern deutlich. In einer separaten Kammer sind jugendliche Landminenopfer an Krücken, Bilder verkohlter Soldaten oder Kamele vor den brennenden Anlagen Kauwaits im Golfkrieg zu sehen, die statt Wasser zu finden, Öl trinken und daran verenden. Das Porträt eines afghanischen Mädchens, das McCurry in einem pakistanischen Flüchtlingslager 1984 fotografierte, gehört inzwischen zu den berühmtesten Bildern der Dokumentarfotografie. Als „Mona Lisa des 20. Jahrhunderts“ ging es um die Welt. Siebzehn Jahre später hat McCurry das Mädchen, inzwischen eine durch Angst und Entbehrungen verhärmte Frau, wieder aufgespürt und fotografieren können. Die im Museum Wolfsburg nebeneinander hängenden Bilder verdeutlichen exemplarisch das schmerzvolle Schicksal der Geschichte Afghanistans.
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Kunst als Retterin der Welt?
Das Motto „Ja natürlich – wie Kunst die Welt rettet“ steht über einer Schau im Gemeentemusuem in Den Haag. Die Ausstellung hat den hohen Anspruch, einen kulturellen Wandel herbeizuführen, der den Umgang der Menschen mit ihrem Heimatplaneten verbessern hilft. „Durch Recycling und innovative, nachhaltige Zusammenarbeit können wir die Erde retten“, lautet das hehre Ziel. An die 80 internationale Künstler liefern mit ihren Werken neue und unkonventionelle Botschaften, die sich auf eine Vernetzung zwischen Menschen, der Natur und technischen Errungenschaften konzentrieren – auf spielerische Weise. So interessiert sich die 1973 geborene Finnin Tea Mäkipää für die „Schutthalden der Menschheit“. Es geht ihr um ethische Fragen des Handelns, um die Verantwortung für das, was die Lebensgrundlagen dieses Planeten ausmacht. Der von ihr in Den Haag installierte „Petrol Engine Memorial Park“, in dem Autos unter dichtem Pflanzenbewuchs wie auf einem paradiesischen Friedhof verharren, soll als zukünftige Vision an die vergangene Ära der Benzinschleudern erinnern. Die Verknappung des Erdöls ist auch das Thema von Ai Weiwei. Seine schwarzen Öltropfen aus Porzellan (= auf Englisch „China“) sind eine ironische Anspielung auf sein Land China, eine aufsteigende Weltwirtschaft, die vom Erdöl zunehmend abhängiger wird. Die surreale Skulptur der Wasserpflanze „Victoria Regia“ von Keith Edmier wechselt ihr Geschlecht in der Blüte binnen 24 Stunden von männlich zu weiblich. Ob das mit den echten Pollen, die der Künstler auf die Polyesterblüten streut, auch gelingt?
Arabische Grenzgängerinnen
Im Zuge des „Arabischen Frühlings“ befindet sich die Region südlich des Mittelmeers in einem Umbruch, der von Europa mit großem Interesse, aber auch mit Hoffnung und Skepsis verfolgt wird. Viele der auf einer Ausstellung in Karlsruhe vertretenen Künstlerinnen haben längere Zeit im Ausland verbracht, einige leben dort oder pendeln zwischen verschiedenen Ländern. Die 1967 in Tunis geborene Faten Rouissi versteht ihre künstlerische Arbeit immer als politisch-sozialen Prozess. Mit ihren Skulpturen, Installationen, Performances und Videos interveniert sie seit den 90er Jahren im Öffentlichen Raum. Zugespitzt haben sich ihre Arbeiten im Vorfeld de tunesischen Revolution, vor allem aber in der Umbruchphase selbst. International bekannt wurde sie mit den Happenings „Art dans la rue – Art dans le quartier“. Über Facebook appellierte sie an bildende Künstler, Sprayer und Aktivisten, die ausgebrannten Autowracks der Herrscherfamilie zu Symbolen der Befreiung umzugestalten. Als ein Live-Event zur Eröffnung einer Ausstellung in Karlsruhe wird die Künstlerin selbst ein Autowrack in ein Freiheitssymbol verwandeln. Bedrohung, Gewalt und Exil kennzeichen das Werk der Libanesin Mona Hatoum. Ihre Objekte und Installationen sollen provozieren, den Betrachter attackieren, seine Unversehrtheit bedrohen. Dagegen wirkt ihre Skulptur „Bourj II“ von 2011 auf den ersten Blick harmlos. Doch kann diese aus brüchigem Fußstahlrohr gefertigte Plastik auch als Symbol für Kriege hervorbringende Gewalt verstanden werden – so jene infolge des armenischen Völkermords. Die Einwohner des Beiruter Vorortes Bourj Hammond – analog zum Titel der Plastik – sind Nachkommen von Überlebenden der Todesmärsche in Anatolien.
Intuitive Imaginationen
„Ich versuche, dahin zu kommen, dass ich schneller bin als mein Denken“, beschreibt die japanische Künstlerin Leiko Ikemura ihren Impetus bei der Arbeit. Seit Mitte der 1990er Jahre hat sie ihr Sujet gefunden: in sich versunkene anonyme Figuren, schemenhafte weibliche Wesen und kosmische Landschaften, die in einen unendlich Raum weisen. Ikemuras Gestalten bewohnen eine elementare Welt aus Licht und Farbe, Land und Meer. Landschaftliche Formen interpretiert sie anthropomorph, Gesichter und Felsen verschmelzen bei ihr zu hybriden Naturbildern. „Wellen, Wind, Wesen“ sind wiederkehrende Motive und auch Titel einer ihrer Künstlerbücher. Als Prinzip von Werden und Vergehen, der ewigen Metamorphose des Seins, die in Abhängigkeit von der Natur auch bedrohlich sein kann, erlangen die Werke von Ikemura in Hinblick auf die Ereignisse in Japan von vor zwei Jahren eine besondere Bedeutung. So hat sie auch die Frage der Bedeutung von Kunst in Zusammenhang mit der Katastrophe von Fukushima in von ihr organisierten Ausstellungen diskutiert.
Das Drama der Meere
Oft hat Elisabeth Mann Borgese davon erzählt, wie sie mit ihrem Vater am Meer stand. „Das ist der Horizont“, erklärt der Vater. „Und was kommt hinter dem Horizont?“ fragt die Tochter. Das Meer, das Thomas Mann liebte und dessen Motivwelt in seinem Werk eine zentrale Rolle spielt, wird für seine jüngste Tochter zum Lebensinhalt. Sie, die ursprünglich Konzertpianistin werden wollte, kämpft für eine gerechtere Welt und zugleich für die Weiterführung des literarischen Erbes ihres Vaters. Im Zentrum ihrer späteren Interessen steht der Schutz und die Erforschung der Ozeane. Zehn Jahre nach dem Tod von Elisabeth Mann Borgese (1918-2002) gewährt eine erste große Ausstellung im Literaturhaus München Einblicke in ihr Leben, Werk und Wirken. Erstmals wurde dabei ihr Nachlass ausgewertet, der im Archiv der Universität von Halifax liegt und sich auch auf Dokumente aus der Münchner Monacensia und dem Deutschen Literaturarchiv in Marbach stützt. Als erstes weibliches Mitglied des Club of Rome engagiert sich EMB als Initiatorin der Pacem in Maribus (Frieden auf den Meeren)-Konferenzen und wird Gründerin des Internationalen Ozean Instituts auf Malta sowie Mitglied der österrechischen Delegation bei der UN-Seerechts-Konferenz. Wie hochaktuell die Berichte von EMB an den Club of Rome bis heute sind, zeigt der folgende Ausschnitt: „Einerseits jammern wir über die Knappheit der Rohstoffe, andererseits schmeißen wie sie einfach ins Meer … Verschmutzung ist nur das Maß der Misserfolge unserer wirtschaftlichen, sozialen und politischen Systeme. Wie wir unsere Umwelt zerstören, zerstören wir uns selber. Auch homo sapiens steht auf der Liste der gefährdeten Lebewesen.“
Zwischen Genie und Wahnsinn
Mit seiner typischen Unbescheidenheit forderte Salvador Dalí, der umstrittene und wohl bekannteste Meister des Surrealismus, damals von den Kuratoren der Pariser Retrospektive 1979 für sich eine prächtige, ja kolossale Schau, eine Art lebende Apotheose, die jedem zu verstehen geben sollte, „mich kann niemand imitieren. Der einzige Unterschied zwischen mir und den Surrealisten ist, dass ich der Surrealist bin“. Jetzt, ein Vierteljahrhundert nach seinem Tod, versucht das Centre Pompidou in Paris eine völlig neuartige Rückschau und Rehabilitation des komplizierten Geistes mit dem Zwirbelbart und seiner vor allem in der Kunstszene kontrovers diskutierten Werke… Den Auftakt bildet das Entree der Schau, die den Besucher durch eine riesige eierschalenartige Struktur in den Bauch der Inszenierung katapultiert. Der erste Blick fällt dabei auf die Wand mit einem berühmten Foto von Philippe Halsman, das Dalí nackt in gekrümmter Fötushaltung zeigt. Und aus dem Off ertönt die knarrende Stimme des Abgebildeten, der vom Trauma der eigenen Geburt erzählt. Hier beginnt die Familien- und Künstlergeschichte Dalís – ein von schmerzvollen Erlebnissen seiner Kindheit geprägter, fast magischer Ort auf der anderen Seite der Pyrenäen mit Felsen, Zypressen, das Meer, Licht und Schatten, die seine Bilder und Gedanken dominieren. Hier entwickeln sich die Mythen einer dualen Persönlichkeit, eines Wilhelm Tells als Alter ego.
Spektakel der Leere
Im Zirkus macht das Leben normalerweise fantastische Sprünge. Davon bleiben im Kunsthaus Zürich nur Requisiten, Kostüme und Accessoires. Das Spektakel ist der Leere gewichen. Über allem hängt die rot-gelbe Hülle eines Zeltes mit seinen bunten Wimpeln von der Decke herab und scheint sich am Boden auszubreiten. In der Ausstellung geht es der französisch-marokkanischen Künstlerin Latifa Echakhch um das Ende dieses „Hier und jetzt“. Sie beklagt damit die innere Leere unserer Event-Gesellschaft und die Tatsache, dass heute alles so schnell geht, dass es daher eigentlich immer schon vergangen ist. Die Vorstellung von etwas, das nur in seiner Abwesenheit vorhanden ist, beschäftigt die 38jährige seit längerem. Sie reflektiert auch den oftmals voreingenommenen Blick auf nationale und religiöse Identitäten in poetischen und zugleich konzeptionellen Arbeiten. So 2008 in der Ausstellung „Shifting Identities“ mit schwarz bemalten, leeren Fahnenstangen, die sich im Raum überkreuzten. Oft verrät der Titel erst die Thematik – wie auch bei der Installation „Stoning“ von 2010. Harmlos am Boden liegende Steine rufen plötzlich Bilder von brutalen Steinigungen hervor. Inzwischen hat die Künstlerin an der Biennale Venedig 2011 und an der Sydney Biennale 2012 teilgenommen.
Mein Körper und ich
Körpergefühle sind optisch schwer zu definieren. Die österreichische Künstlerin Maria Lassnig versucht sich darin schon seit über sechs Jahrzehnten. Das tut sie nicht narzisstisch, sondern in einer zu Bildern geronnenen Gefühlssprache, die das Bewusstsein mit kritischer Distanz erkundet. In den oft verblüffend einfachen Zeichnungen verschmelzen subjektive Körperlichkeit mit objektiver Dinglichkeit. Gliedmaßen verwandeln sich in Gegenstände mit Witz und Selbstironie. Die anatomische Grenze scheint aufgehoben, Identität fraglich geworden. Stattdessen nehmen die intimsten Ängste, Wünsche, Zwänge und Fantasien Gestalt an. Aus einer physischen Dynamik heraus malt die Künstlerin großformatige innere Visionen ihrer Selbst durch unmittelbar körperliche auf das Bild übertragene Meditation. So erarbeitet sie sich ihre Gemälde nicht nur vor der Leinwand stehend, sondern auch im Liegen, Sitzen oder sich auf sie stützend. Oft schließt sie beim Malen die Augen, um ihre Empfindungen wie Trauer, Freude oder Glück oder auch Druck- Spannungs- und Ausdehnungsgefühle besser zu spüren und zu visualisieren. Nach außen gestülptes Innenleben beherrscht auch die Aquarelle, deren Farben Maria Lassnig so definiert: „Die Stirne bekommt eine Gedankenfarbe, die Nase eine Geruchsfarbe… es gibt Quetsch- und Brandfarben, Todes- und Verwesungsfarben, Krebsangstfarben – das sind Wirklichkeitsfarben.“
Eine fotografische Legende
Wo liegen die Grenzen von Kunst und Pornographie? Das Œuvre von Robert Mapplethorpe ist mit den Begriffen Sex und Exzess, Begierde und Dominanz untrennbar verbunden. Diese Allianz macht ihn auch heute noch, 25 Jahre nach seinem Tod, zum umstrittenen, aber dennoch zu einem der großen Fotografen unserer Zeit… Seine Fotos männlicher Akte irritieren mit ihrem Mix aus Schock und Schöpfung. Berühmtheit erlangt er zunächst mit klassischen Kompositionen von Stillleben und Blumen, den „New York Flowers“. Als fotografischer Autodidakt hat er lange mit diesen Sujets experimentiert und diese später zusammen mit Phalli präsentiert: „I look für the perfection of form. I do this in portraits, in photography of penises, in portraits of flowers. I’ve tried to juxtapose a flower, then a picture of a cock, then a portrait, so that you could see they were the same“. Die Aufregung im sogenannten amerikanischen Kulturkrieg der 1980er Jahre war groß, als Mapplethorpe seine Fotos auf den Markt bringt. Homoerotische Praktiken und immer wieder entblößte Männerkörper, in schlichtem Schwarz-Weiß inszeniert, sorgen in seiner Heimat für Empörung. Doch die Avantgarde feiert inzwischen die Werke des Katholiken als große Kunst. Mapplethorpe war nicht nur kühler Porträtist einer New Yorker Gesellschaft, der formversessene Beobachter der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts. In seinen Bildern konfrontiert er die Menschen mit ihren Vorurteilen, ihrem Verhältnis zur schwarzen Minderheit, ihrer Haltung zum Feminismus und zu sexuellen Minoritäten. Exhibitionistisch und intim, romantisch und brutal zwingt seine Bildsprache dazu, die Welt auf neue Art zu sehen.
Coming-out des nackten Mannes
Über nackte Haut regt sich heute keiner mehr auf, könnte man meinen. Auch nicht im Museum, wo die gezeigten Nackten meist Frauen sind. Doch wenn Männer alle Hüllen fallen lassen? Anders als die überlebensgroße, begehbare Skulptur „Mr. Big“ vor den Toren des Wiener Leopold Museums, das vom Publikum vielfach in Besitz genommen wurde, verursachte das Plakat zur Ausstellung „Nackte Männer“ gewaltigen Aufruhr. Die explizite Darstellung von drei nackten Fußballern aus der subversiven Kitschfabrik von Pierre & Gilles mussten die Macher deshalb überkleben. Eine Publicity-trächtige Aktion mit der Botschaft: Wer „alles“ sehen will, muss ins Museum. So eine Schau nackter Männer hat es bisher noch nicht gegeben. Gleich zwei österreichische Museen holten die „Nackerten“ aus ihren Depots und aus privaten Sammlungen. Erst seit mehr als 100 Jahren gibt es in der Bildenden Kunst Werke, worauf sich die Herren in voller Pracht präsentieren. In einem groß angelegten Bogen über zwei Jahrhunderte thematisiert die Wiener Ausstellung unterschiedliche künstlerische Zugänge, konkurrierende Männlichkeitsmodelle und den Wandel von Körper-, Schönheits- und Wertvorstellungen. Was passierte jedoch, als der Blick des Malers vom nackten Vis-à-Vis zum entblößten Ich weiterwanderte und im Künstlerselbstakt ein Fanal der Moderne entstand? In Wien geben Egon Schieles tabulose Selbstbespiegelungen eine Antwort darauf. – Die Ausstellung in Linz beleuchtet dagegen mit ihrer Retrospektive des nackten Mannes im 20. und 21. Jahrhundert dessen Krisen der Identität und Phasen der Souveränität. Sie spürt Versuche der Dekonstruktion von traditionellen Männlichkeitsbildern und die Suche nach Alternativen auf. Sie zeigt die Auseinandersetzung mit Schwäche und Verletzlichkeit, schildert den Blick des Begehrens und die erotische Pose.