Mara Lassnig – Körpergefühle

Drei Jahre nach ihrem Tod widmet die Wiener Albertina der Erfinderin der Body-Awareness eine große Retrospektive. Das Sichtbarmachen von körperlichen Emotionen und das Nachspüren der Körperwahrnehmung bilden den Mittelpunkt der Arbeiten von Maria Lassnig, die mit Louise Bourgeois, Joan Mitchell und Agnes Martin zu den bedeutendsten Künstlerinnen des 20. Jahrhundert zählt.  Für die Wiener Künstlerin war die Malerei eine Urzustandskunst von sich selbst, bei der die Physiognomie nur eine partielle Rolle spielte. In ihren oft verblüffend einfachen Zeichnungen verschmelzen subjektive Körperlichkeit mit objektiver Dinglichkeit. Gliedmaßen verwandeln sich in Gegenstände mit Witz und Selbstironie. Die anatomische Grenze scheint aufgehoben, Identität fraglich geworden. Stattdessen  nehmen die intimsten Ängste, Wünsche, Zwänge und Fantasien Gestalt an….  

Homo spaciens

Die humane Expansion im Sonnensystem bedeutet für den Künstler Michael Najjar die nächste Stufe der Evolution, die eine neue Art des Menschen, den Homo spaciens, hervorbringen wird, der sich in hohem Maße an das Leben im All anpassen kann, um diesen Raum zu erkunden und zu besiedeln. Es sind natürliche extraterrestrische Lebenswelten, die in fotografischen und filmischen Kompositionen erhaben und zugleich seltsam vertraut anmuten, weil sie dem Heimatplaneten und anderen Monden sowie Planeten innerhalb unseres Sonnensystems ähneln. Die interplanetaren Szenerien des Künstlers faszinieren als ergreifend schöne Traumwelten, die sich  jenseits des (bislang) Erreichbaren – in nicht allzu ferner Zukunft realisieren könnten. Als Najjar 2009 auf dem 6959 hohen Gipfel des argentinischen Aconcagua steht,  überwältigt ihn die Vision, in den Weltraum zu fliegen: „Ich hatte das Gefühl, den Himmel mit Händen greifen zu können. Ich dachte, wenn ich das überlebe und ich heil wieder runterkomme, dann muss ich noch weiter hinaus, dann muss ich in den Weltraum“….  

Hello, Robot

Ob Drohnen, Pflegeroboter, selbstfahrend Autos, Smart Cities oder Internet der Dinge: die heutige Verbreitung von Robotik und künstlicher Intelligenz (KI) ist längst mehr als fantastische Utopie. Scheinbar lautlos und unsichtbar hat die Robotik bereits weite Teile unseres Lebens- und Arbeitsalltags verändert. Kunst, Design und Architektur  sowie Technologie, Film, Literatur, Mode, Wissenschaft und Pop-Kultur beschäftigen sich mit der Ästhetik der Robotik. Die fortschreitende Annäherung an Roboter und KI changiert zwischen Euphorie und Kritik, zwischen der Hoffnung auf eine bessere, technisierte Welt und andererseits der Angst vor einer Entmündigung des Menschen durch Drohnen, Algorithmen, intelligente Sensoren der Industrie 4.0.  Roboter haben bereits ihren Durchbruch in Arbeit, Produktion und Industrie erlebt. Da lassen Fragen, ob wir in Zukunft noch Arbeit haben werden, niemanden unberührt. Es bleibt zu hinterfragen, wo die Grenzen zwischen automatisierter Arbeit und menschlicher Kreativität anzusiedeln sind…. 

Meister von Licht und Schatten

Das Lenbachhaus in München erinnert an das Werk des Filmkünstlers F. W. Murnau und seine 21 Filme, die zwischen 1919 und 1930 unter seiner Regie in Deutschland, USA und Tahiti entstanden sind: der große Regisseur der Stummfilmzeit wird hier auf ungewöhnliche Weise neu entdeckt. Da die Möglichkeiten von Museumsräumen den Rahmen einer einheitlichen filmischen Retrospektive sprengen, wird die Ausstellung von einem ausführlichen Programm im Filmmuseum begleitet, das alle bis heute erhaltenen Filme Murnaus zeigt. Um das Œuvre Murnaus auf musealer Ebene lebendig werden zu lassen, setzten sich Filmemacher wie Alexander Kluge, Ulrike Ottinger, Evan Johnson, Luc Lagier sowie Studenten der Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) in Essays mit je einem Film des Avantgardisten der Kinokunst auf eigenwillige Art auseinander. Mit seinem bekanntesten und erstem klassischen Werk Nosferatu. Eine Symphonie des Grauens schuf Murnau das Urbild aller Vampir-Filme, gedreht nach Bram Stokers Roman Dracula. Meisterhaft erscheint bis in unsere Zeit Murnaus psychologische Bildführung, für die er seine „entfesselte Kamera“ erfand: Diese bewegte sich frei im Raum, war auf einem Fahrrad oder in einem Korb installiert, der durch die Luft pendelte. Diese Technik ebnete dem Meister von Licht und Schatten den Weg nach Hollywood…

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DIE STEINSCHLEUDER (SAPAN)
Tief bin ich durch eure Schande gewatet
Mein verfluchtes Schandmaul
Spazierte allzu lange in euren Körpern
War es denn harmlos, ist der Mond in euch versunken
Dabei ließ ich den Faden lang für eure Nadel
Waren es Blätter, die ich ständig in euch schwanken ließ
War es zum Trost, dass ich Silber auf euch geschüttet
Solange ich mich erinnere, bin ich in eurem Sand
versunken
Lange verweilte ich in eurer Spaßwelt
Meine verdammten Wünsche waren
Nur schwer zu fassen für euch Hohlköpfe
Hing wohl ein Zweig herunter, rankte eine Rose sich zu
eurem Gesicht
Dabei habe ich die Pferde herabgeführt in eure Ebene
Waren es Geliebte, Wunden, die ich ständig in euch
zittern ließ
Oder das Verlangen, euch in die Haut zu kneifen
Solange ich mich erinnere, war ich ein Vogel für eure
Steinschleuder

übersetzt von Barbara Yurtdas

Gonca Özmen* 1982 in Tefenni/Burdur, Türkei. Studium der Anglistik, Promotion. Sie hat bisher drei Gedichtbände veröffentlicht, zuletzt: The Seaside Within, Verlag Shearsman, UK, 2011. Vielfach ausgezeichnet mit Preisen und Stipendien. Ihre Texte wurden ins Englische, Deutsche, Französische, Spanische, Slowenische, Rumänische, Persische, Griechische und Iwrit übersetzt. Sie ist Mitherausgeberin mehrerer türkischer Literaturzeitschriften und war an Übersetzungsprojekten beteiligt. – Das hier abgedruckte Gedicht las Gonca Özmen während des Schamrock Festivals in München, Ende 2016. Weitere Beispiele der dort vorgetragenen Lyrik von insgesamt 50 internationalen Teilnehmerinnen finden Sie in der CULT-Ausgabe 1/2017.

„Ich bin eine Kämpferin“

Sie hat ein faszinierendes Werk hinterlassen, dessen Einfalls- und Abwechslungsreichtum seinesgleichen sucht. Eine Ausstellung im Museum Ostwall im Dortmunder U widmet sich den facettenreichen Frauenbildern der international bekannten franko-amerikanischen Künstlerin Niki de Saint Phalle (bis 23. April). Ausgehend von frühen Familienbildern spannt sich der Bogen von mehr als 100 Exponaten über Assemblagen und Schießbildern bis zu den Bräuten, Gebärenden, Verschlingenden Müttern und den überlebensgroßen üppigen Nanas. Im Leben der geborenen Catherine Marie-Agnès Comtesse Fal de Saint Phalle (1930-2002) gab es keine Trennung zwischen ihrem radikalen Werk und ihrer Person: Jeder neue Lebensabschnitt war durch ausgeprägte Stilwechsel in ihrem künstlerischen Schaffen gekennzeichnet. In den frühen Assemblagen und Schießbildern setzte sie sich als Niki de Saint Phalle, die hauptsächlich in den USA aufwuchs, mit den politischen Konflikten und den tradierten Rollenklischees der Frauen ihrer Zeit auseinander. In einem ihrer frühen Textbilder verewigt sie sich mit den Worten: „Ich bringe meine Wünsche, Gefühle und Widersprüche dem Leben entgegen, meine Sehnsüchte, meine vergessenen Erinnerungen, Schatten und Visionen eines anderen Ortes. Ich arbeite im Dunkel eines geheimen Tunnels, suche immer nach der Sonne, verstecke mich vor dem Mond und huldige den Sternen. Wo bist Du?“…

Eröffnung der Elbphilharmonie

Nach fast zehn Jahren Bauzeit ist Hamburgs neues Wahrzeichen, die wie ein Ozeanriese auf dem Kaispeicher gestrandete Elbphilharmonie, mit einem furiosen Konzert im Januar eröffnet worden. Dieses Ereignis thematisiert auch die Ausstellung „Elbphilharmonie Revisited“ in Kooperation mit den Architekten Jaques Herzog & Pierre de Meuron in den Deichtorhallen der Hansestadt (bis 1. Mai). Wer nicht einen der bis zu maximal 30 Meter vom Dirigenten entfernten Plätze im Großen Saal der Elbphilharmonie frühzeitig ergattert hatte, konnte das Spektakel unter dem Titel „Zum Raum wird hier die Zeit“ mit Chefdirigent Thomas Hengelbrock, dem NDR-Sinfonieorchester, dem Chor des Bayerischen Rundfunks und einer Riege hochkarätiger Solisten in einem 360°-Livestream im Internet erleben: Eine Überraschung ist die Auswahl der Stücke mit einer breit gefächerten Musik aus vier Jahrhunderten. Zunächst ertönt nur eine einzelne Oboe, nicht aus der Mitte des Saales, sondern von der Empore aus. Erst nach ein paar Minuten antwortet das Orchester mit Werken von Henri Dutilleux, Bernd Alois Zimmermann und Olivier Messiaen. Immer wieder erklingt die Musik von unerwarteten Orten, etwa, wenn Countertenor Philippe Jaroussky aus der oberen Empore die Arie dalle piú alte sfere singt (aus den höchsten Sphären komme ich zu euch)…

Pionierin des Tanztheaters

Von Wuppertal aus ging eine Revolution aus, die den Tanz weltweit emanzipierte und neu definierte. Pina Bausch (1940-2009) verband erstmals den Tanz mit den Genres Gesang, Pantomime, Artistik und Schauspiel zu einer neuen Kunstgattung. Der weltweite Erfolg beruhte darauf, dass sie ein universelles Bedürfnis zu ihrem Kernthema machte: das nach Liebe, nach Nähe und Geborgenheit. Daraus entwickelte sie ein Welttheater, das nicht belehrt, sondern beglückende oder traurige, sanfte oder direkte, und immer wieder auch komische und skurrile Erfahrungen generiert. Es sind bewegte und bewegende Bilder innerer Landschaften, die aufs Genaueste die menschliche Gefühlslage erkunden. Pina Bausch konfrontierte die Ensemblemitglieder zunächst mit Fragen, Aufgaben und Stichworten. Jede am Entstehungsprozess des Stückes beteiligte Person antwortete darauf mit Worten oder Bewegungen, Gesten oder Szenen. Aus diesem Sammelsurium kombinierte die Choreografin unterschiedlichste Puzzleteile immer wieder neu, bis daraus eine stimmige und emotionale Komposition entstand. Pina Bausch: „Mich interessiert nicht, wie Menschen sich bewegen, sondern was sie bewegt.“ In den über 36 Jahren, in denen Pina Bausch die Wuppertaler Arbeit bis zu ihrem Tod geprägt hat, hat sie ein Werk geschaffen, das einen unbestechlichen Blick auf die Wirklichkeit wirft und zugleich Mut macht, zu den eigenen Wünschen und Sehnsüchten zu stehen. Diesen Maßstab wird ihr einzigartiges, persönlichkeitsstarkes Ensemble auch in Zukunft erhalten.

Hymne an die Natur

Die bisher größte, jemals außerhalb der USA präsentierte Retrospektive der wegweisenden Pionierin der amerikanischen Kunst des 20. Jahrhunderts, Georgia O’Keeffe (1887-1986), zeigt in der Tate Modern in London über 100 prägnante Werke von insgesamt 221 Objekten, darunter auch Fotografien und biografische Notizen, der berühmten Malerin. Dass sie primär durch ihre Kunst bekannt werden wollte, nicht als Frau, die Kunst macht, offenbart dieses Zitat: „Männer tun mich als die beste weibliche Malerin ab. Ich denke, ich gehöre zu den besten Malern.“ Vor allem im Dialog mit O’Keeffes kreativsten Zeit von 1925 bis 1963 – knapp 50 Jahre ihrer Karriere, in der sie über tausend Kunstwerke schuf – werden Leben und Werk dieser außergewöhnlichen Frau anschaulich. In farbenkräftigen Gemälden von Blumen, Wüstenlandschaften und Tierschädeln entdeckte sie ein Universum von Werden und Vergehen, von Sinnlichkeit und Tod. Blüten in schwelgerischen Farben und Formen, in leinwandfüllender Direktheit suggerieren Weiblichkeit und Erotik. Doch die Künstlerin wies jeden Gedanken an sexuelle Symbolik in ihren Bildern von sich…

Mit Christo auf Wasser wandern

Es war das Kunst-Happening des Jahres 2016: die Floating Piers im italienischen Lago d’Iseo, ein kilometerlanger Laufsteg, auf dem Menschen im Sommer in Scharen übers Wasser wandern konnten. 16 Tage lang war Christos spektakuläres Kunstwerk für jedermann zugänglich. Selbst bis Mitternacht pilgerten die Besucher über die mit unzähligen Lichtern illuminierten Piers und posteten begeistert ihre Eindrücke im Internet. Und alle Welt sah zu, wie die Menschen barfuß über schimmernde Stoffbahnen wandern, radschlagende Kinder die schwimmenden Pontons zum Turnen nutzen und andere an einigen Stegen die Sonne genießen und sich zum Baden hinablassen. Inzwischen ist alles abgebaut, die 206.000 Hohlraumwürfel, 100.000 Quadratmeter Stoff und 190 Anker sind recycelt. Sein Großprojekt kommentierte der bulgarisch-amerikanische Verpackungskünstler lakonisch: „Es geht ums Laufen, um alle Sinne, das Gefühl unter den Füßen, die Luft, die Feuchtigkeit des Stoffs, die Sonnenwärme, das Plätschern der Wellen“. Die Idee, einen künstlichen Pier zu bauen, hatten Christo und seine 2009 verstorbene Frau Jeanne-Claude bereits 1969, nachdem beide die Verpackung des Museum of Contemporary Art in Chicago und der Little Bay in Australien realisiert hatten. Doch manche Pläne dauern Jahrzehnte, bis sie genehmigt und umgesetzt werden können. So wurde das Objekt eines artifiziellen Piers im Rio de la Plata in Buenos Aires damals ad acta gelegt und erst 2016 in Italien verwirklicht…

Zeugnisse der Vergänglichkeit

Die Objekte von Berlinde De Bruyckere, einer der international bekanntesten zeitgenössischen Bildhauerinnen, sind Abgüsse aus Wachs und Kunstharz, die von ihr in eine unnahbar anmutende Durchsichtigkeit der Haut moduliert werden. Ihre Skulpturen und Zeichnungen aus den letzten zwei Jahrzehnten beleuchten den menschlichen Körper in seiner rohen Schönheit und Verletzlichkeit. In ihren scheinbar zeitlosen Figuren setzt sich die belgische Künstlerin mit existenziellen Fragen zu Leben und Tod, Schmerz und Leid, aber auch zu Liebe und Mitgefühl auseinander. Sie betont zugleich, wie die menschliche Existenz im fleischlichen Körper verankert ist. Vor allem die fragmentierten Leiber ihrer wächsernen Skulpturen wirken oft unheimlich realistisch – einem ständigen Prozess der Transformation zwischen Werden und Vergehen ausgesetzt…