Ein normales Leben für Ai Weiwei

Er gehört zu den bekanntesten Künstlern der Gegenwart. Noch bekannter ist Ai Weiwei, 57, als Künstlerdissident, der im Ausland gefeiert, in China angefeindet wurde, nachdem er mit dem Regime in seiner Heimat, auch öffentlich haderte. Die Folgen sind bekannt: persönliche Repressalien, Ausreiseverbote, Haft und Folter. Das alles hat Ai in seinen fotografischen Arbeiten dokumentiert. Das Handeln der Staatsmacht wird Teil seiner Konzeptkunst. Umso überraschender war die Nachricht, dass Ai seinen ihm vier Jahre lang entzogenen Pass im Sommer zurückerhalten hat. Inzwischen hat sich der Künstler in Berlin bei Lebensgefährtin, Sohn und in seinem Atelier im Prenzlauer Berg eingerichtet. Er kann nun in Berlin auch eine Gastprofessur antreten und wird zu seiner ersten in Großbritannien, in der Royal Academy London gezeigten Gesamtschau seiner bisherigen Arbeiten neben neueren Installationen von uralten chinesischen Baumstämmen erwartet. Zuvor konnte er im Sommer in Peking seine erste Ausstellung in China seit 22 Jahren ausrichten. Dafür hatte er ein 400 Jahre altes Haus einer unter Mao verfolgten Familie abgebaut und die Reste der hölzernen Ahnenhalle im Künstlerviertel Pekings neu erstehen lassen. Zur Eröffnung der Ausstellung besuchte der Lyriker Yang Lian gemeinsam mit einer Gruppe deutscher Kunstinteressierter seinen Freund Ai Weiwei. Ein Anlass war auch die Präsentation von Yangs neuem Gedichtband, dessen Cover Ai mit Sonnenblumenkernen gestaltet hatte…

Chinas Kunst an Rhein und Ruhr

Ein großer Ausstellungsreigen führt durch acht Stationen: China 8 ist die bisher weltweit größte museale Bestandsaufnahme zeitgenössischer chinesischer Kunst. Rund 500 Werke von 120 Künstlern zeigen – trotz der Absage von Ai Weiwei – einen Querschnitt durch den schillernden chinesischen Kunstkosmos und deren Markt, der sich mit der Macht arrangiert hat. Der wachsende Wohlstand ist in der Kunstszene angekommen. Als Künstler sei es eine Kunst, so Yue Minun, die Grenzen zu erkennen, was erlaubt ist und was nicht. In China unerwünscht sind offene politische Äußerungen, extreme Gewalt und Pornografie… Manche Bilder enthalten versteckte Botschaften, die im Land selbst von den chinesischen Behörden toleriert oder vielleicht auch gar nicht erkannt werden. Doch diese Ausstellung fand außerhalb Chinas statt, wo andere Gesetze gelten. Dennoch überrascht Wang Qingsongs monumentaler Fotoprint Temple von 2013. Er zeigt einen feisten Buddha, der wie ein allmächtiger Diktator über einer Armee von Betenden thront, die sich nackt vor ihm in den Staub geworfen haben – eine religiös verbrämte Abrechnung mit der Partei…

Liebling der Hochkunst

Eine grandiose Ausstellung im Münchner Museum Brandhorst macht das gesamte Spektrum von Andy Warhols Schaffen sichtbar. Mit über 100 Werken zeigt Warholmania den Popkünstler als Allrounder. In seiner überbordenden Produktivität dringt die Figur Warhol weit über die Malerei, den Film in die unterschiedlichsten künstlerischen und gesellschaftlichen Bereiche vor: Er probierte alles, was sich ihm an Kunst und Design bot. Als Werbegraphiker kreierte er Schuhe, Katzen und Geburtstagskarten; er produzierte Musik und illustrierte Kochbücher sowie Modemagazine, gründete das Lifestylemagazin Interview und etablierte in den späten 1970er Jahren eine eigene TV-Sendung im Geist von Punk und New Wave. Die Entdeckung des Siebdrucks bedeuteten für Warhol zahlreiche Experimente, etwa mit dem aufwendig collagierten Werk Ladies and Gentlemen (1975), die auf von ihm fotografierten Transvestiten basieren. Diesen am Rande der Gesellschaft Stehenden werden mit ihrem abgründigem Rollenspiel und pointierter grotesker Maskerade ihres Daseins bei Warhol zu Ikonen ihrer Zeit… Warhols berühmte gelbe Blumen auf grünem Grund von 1964 finden sich auf dem Titel dieses Heftes wieder…

Entschleunigter Blick

Die international tätige Fotografin Hélène Binet hält seit nunmehr 25 Jahren die Bauten berühmter Architekten mit ihrer Kamera, vorwiegend in Schwarz-weiß, fest. Eine Ausstellung im Bauhaus-Archiv Museum für Gestaltung in Berlin zeigt einige Schlüsselmomente ihrer künstlerischen Laufbahn neben bisher öffentlich noch nie gezeigten jüngeren Arbeiten. Ihre erste museale Einzelausstellung hat sie selbst konzipiert mit Fotos von Bauten der bekannten Architekten John Hejduk, Le Corbusier, Peter Zumthor sowie der Architektin Zaha Hadid. Diese vier wählte Binet aus ihrer gesamten Schaffensperiode für die Hängung aus, denen sie je ein Gegenüber – das eines Architekten oder einer Landschaft – zugesellte. Bevor sie auf den Auslöser drückt, setzt sie sich tagelang vor Ort mit einem Gebäude auseinander. Durch diese Art der Entschleunigung erreicht sie eine intensivierte Wahrnehmung, die in einer immer schnelllebigeren Welt beinahe provokativ wirkt…

Wie subversiv ist Chinas Lyrik?

Die chinesische Dichtkunst verfügt über eine 3000 Jahre alte Lyriktradition. Wie keine andere hat sie in den letzten Jahren Einflüsse aus anderen Sprachen aufgenommen und sich dabei ebenso rasant verändert wie ihr Land. Das 16. Poesiefestival in Berlin fragte nach dem kreativen Potential der zeitgenössischen chinesischen Lyrik, die über ein breites Arsenal subversiven Sprachgebrauchs, mal subtil, mal konfrontativ, mal satirisch, verfügt. LyrikerInnen aus dem Exil und aus China zeigten, wie daraus Gedichte  von erstaunlicher Schlagkraft entstehen. Vier Beispiele finden Sie in diesem Heft, dazu im Vergleich auch die Texte von zwei deutschen DichterInnen…